Mikropaläontologische Formationen

Story Paläontologie mit dem Mikroskop

Illustration biostratigraphischer Formationen.

Illustration biostratigrafischer Formationen. (Quelle: thin/Wikimedia. CC BY SA)

Die Mikropaläontologie befasst sich mit dem wissenschaftlichen Studium von Mikrofossilien, also versteinerten Überresten von mikroskopischer Größe, unsichtbar für das bloße Auge. Angesichts ihres Untersuchungsgegenstandes handelt es sich bei der Mikropaläontologie naturgemäß um ein sehr vielfältiges Feld. Es gibt eine große Bandbreite an Mikrofossilien, die von den Unmengen an – in biochemischer Hinsicht höchst unterschiedlichen – Einzellern, über mikroskopisch kleine Larven, Pollen, Samen und Sporen, bis zu Fragmenten größerer Fossilien reicht – etwa Zähnen oder Schuppen. Entsprechend gibt es eine Vielzahl an Methoden (und Gründen) für die Untersuchung von Mikrofossilien: Manche Wissenschaftler:innen sind an den Organismen an sich interessiert, andere nutzen sie als Umweltindikatoren; Mikrofossilien können entwicklungsgeschichtliche Zeitserien abbilden, ebenso können sie aber auch als geochemisches Material verwendet werden oder als Proxy-Indikator für andere geologische, ökologische oder biologische Variablen dienen. Diese Vielfalt erschwert die Darstellung der Geschichte der Mikropaläontologie als gleichförmigen, linearen Prozess. Es ist eine Disziplin, die immer noch um eine einheitliche Definition ringt.1 Eine für alle Zweige der Mikropaläontologie zentrale Methode stellt indes die Biostratigrafie dar: Da mikroskopisch kleine Organismen nach dem Absterben zu Sedimentteilen werden, können die unterschiedlichen Formen ihrer fossilen Überreste Wissenschaftler:innen wichtige Hinweise für die Datierung geologischer Schichten liefern. Anstatt also zu versuchen, eine geradlinige Geschichte dieses vielseitigen Forschungsfeldes zu formulieren, erscheint es sinnvoller, analog zu den Methoden der Mikropaläontolog:innen selbst vorzugehen, d.h. verschiedene Formationen über mehrere geologische Schichten hinweg aufzuspüren, um die dynamischen Beziehungen zu verstehen, die diese Formationen miteinander verbinden.

Die unbeständige Geschichte der Mikropaläontologie ist vor allem deshalb interessant, da sie immer wieder Momentaufnahmen der Entwicklung unseres sich wandelnden Verständnisses und unserer Definitionen von Natur bereithält. Die Mikropaläontologie vereint Teilbereiche einer planetaren Wissenschaft, der Mikrobiologie, aber auch der Chemie und der Physik, während ihre Möglichkeiten und Erkenntnisse gleichzeitig den soziotechnischen Wandel abbilden und befördern. Sie ist dadurch außerdem bestens geeignet, um beispielhaft die historischen Veränderungen im Konzept von ‘Tieren als Objekten’ in wissenschaftlichen Sammlungen zu beleuchten. Da die Betrachtung von Mikrofossilien nur mithilfe komplexer technischer Apparate und mikroskopischer Medien gelingt, berührt die Geschichte der Wissensgenerierung in diesem Fach zugleich auch Fragen bezüglich des Verhältnisses zwischen Sehen, Wissen und Verstehen – wie auch hinsichtlich der konkreten Rolle der Technikwissenschaften in dem Prozess. Darüber hinaus befasst sich die Mikropaläontologie mit geologischen und evolutionären Langzeitprozessen und der globalen Verflechtung planetarer Systeme. Diese einzigartige Perspektive, die das unendlich Kleine mit dem unendlich Großen verknüpft, bedeutet durchaus eine Herausforderung für das Zeitverständnis, das den Beiträgen auf dieser Website zugrunde liegt. Die Kombination dieser ungleichen Größenordnungen führt dazu, dass das Spektrum mikropaläontologischer Formationen von winzigen Exemplaren wie den Cycladophora davisiana und ihren mikrobiellen Welten bis hin zu grundlegenderen, allgemeineren Prozessen reicht, wie z.B. den komplexen Dynamiken, die die Wechselbeziehung zwischen Mikroben und Planeten kennzeichnen. Dass derartige Verbindungen zwischen der Welt im Kleinen und im Großen heute hergestellt und miteinander analysiert werden können, ist das Resultat wissenschaftlicher Denkweisen, Taxonomien, Datenbanken und anderer Infrastrukturen.

Die chaotischen Anfänge der Mikropaläontologie verweisen auf die grundlegenden Strukturen, die das Feld bis heute prägen. Gleichzeitig hilft ein Blick auf die Anfänge der Mikropaläontologie nachzuvollziehen, wie grundlegend sich unser Verständnis von mikrobiellen Welten in den vergangenen Jahrhunderten gewandelt hat. Zugleich veranschaulicht die Entstehungsgeschichte, wie bestehende soziotechnische und konzeptionelle Bedingungen die Forschung zunächst scheinbar in Sackgassen führten. Erst viel später ermöglichten die revolutionären Entdeckungen von Esther Applin, Alva Ellisor und Hedwig Kniker – allesamt Wissenschaftlerinnen, die von Ölfirmen beschäftigt wurden – die Infragestellung bestehender Dogmen. In der Folge wurde die Erforschung von Mikrofossilien wieder aufgenommen, was zum Aufschwung der industriellen Mikropaläontologie führte. Ab der Nachkriegszeit wurde diese besonders nützliche Form angewandter mikropaläontologischer Forschung zum festen Bestandteil der Ozeanografie, was die Mikropaläontologie zurück aufs Meer brachte. Gleichzeitig wurden Mikrofossilien ein entscheidender Teil des komplexen wissenschaftlich-technischen Instrumentariums, das es uns heute ermöglicht, Wissenschaftsgeschichte(n) über Mikroben und Planeten zu erzählen. Die Mikropaläontologie steht jedoch nicht nur für Mikrofossilien und Wissensproduktion, sondern sie beeinflusst auch Technologien und gesellschaftspolitische Projekte sowie (überwiegend – aber nicht nur – menschliche) Individuen und Gruppen. Mikropaläontologische Formationen erzählen von globalen Veränderungen und verändern gleichzeitig unser Verständnis von der Welt. Einblicke in die vielen Schichten der Geschichte der Mikropaläontologie offenbaren die zahllosen methodischen und konzeptionellen Veränderungen und Neuerungen mit Blick auf das Sammeln und die Aufbewahrung von Tieren sowie im Verständnis von ‘Tieren als Objekten’. Außerdem vermitteln sie einen Eindruck von den vielfältigen Praktiken, die zum Einsatz kommen um Tiere zu beschaffen, Tiere zu zeigen und Welten zu verzeichnen.


  1. Dies wird schon im Titel eines wichtigen Beitrags aus den 1980er Jahren deutlich: Jere H. Lipps. “What, If Anything, Is Micropaleontology?” Paleobiology 7, Nr. 2 (1981): 167-199. http://www.jstor.org/stable/2400472. Und eine neuere Wiederholung: Ronald E. Martin. “What, If Anything, Is Environmental Micropaleontology?” Microbiology 1 (2004): 1-10.
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