Das Lamont-Doherty Earth Observatory1 ist ein berühmtes Forschungszentrum der Klima- und Geowissenschaften. Es ist Teil des Earth Institutes an der Columbia University und befindet sich in New York. Seit seiner Gründung im Jahr 1949 ist das Institut federführend bei der Erforschung der Geschichte und Dynamiken des Planeten, insbesondere aufgrund seiner Sammlungen und Analysen von Sedimentproben aus den Weltmeeren. Schon vor Beginn der verschiedenen Tiefseebohrungen wurden in dem Institut Kernproben gesammelt, und das institutseigene Bohrkernarchiv beherbergt unschätzbar wertvolle Daten über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unseres Planeten.2 Die im Institut gesammelten und untersuchten Daten trugen entscheidend zur Fundierung der Theorien über Plattentektonik und Kontinentalverschiebung bei. Auch heute untermauern diese Daten wichtige Forschung zu den dynamischen Prozessen des Planeten und zum Klimawandel. Durch die Umwandlung der fossilisierten Überreste von Mikroorganismen und anderer Tiere in wissenschaftliche Studienobjekte ermöglichen diese Langzeitdatensätze es den Wissenschaftler:innen, Zusammenhänge zwischen Mikroben und Planeten aufzuzeigen. Die Einsicht in diese Zusammenhänge prägt indes die internationalen Bemühungen um ein besseres Verständnis von unserem Planeten, ebenso wie die Versuche, auf seine Prozesse Einfluss zu nehmen: Globale Vereinbarungen und Regeln zur Eindämmung des Klimawandels stützen sich beispielsweise auf Modelle, die auf diesen Daten basieren – und damit auf den Lebensformen, die diesen Daten zugrunde liegen. Während das digitale Nachleben dieser Mikroorganismen die traditionellen Formen wissenschaftlicher Autor:innenschaft und Autorität in Frage stellt, tragen die Modelle, die auf ihnen basieren, zur Veränderung politischer Ökologien und dem entsprechendem Regierungshandeln bei.3
Im Juni 2021 erhielt das Museum für Naturkunde Berlin die mikropaläontologische Sammlung des Lamont-Doherty Earth Observatory. Dank der Arbeit von David Lazarus, Johan Renaudie und anderen Mikropaläontolog:innen hat das Museum seine Funktion als international bedeutender Standort zur Bewahrung, Verwaltung und Erforschung von Mikrofossilien stetig untermauern und festigen können. Das Archiv spielt eine entscheidende Rolle für das Verständnis der mikropaläontologischen Formationen. Bestehend aus den Überresten von Millionen von Mikroorganismen aus über 70 Jahren Forschung, die auf mikroskopischen Objektträgern – den häufigsten mikroskopischen Medien für Mikrofossilien – präpariert wurden, bereichert diese Sammlung die mikropaläontologischen Bestände des Museums. Dass mit der Lamont-Doherty-Sammlung nun die physischen Präparate und Proben mit ihrer dazugehörigen digitalen Datenbank in der NSB Datenbank an ein und demselben Ort vereint sind, eröffnet dem Museum neue Perspektiven. Mit dem zunehmenden Ineinandergreifen von Naturkunde und Digitalisierung wird das Management der Präparate und ihres Nachlebens in Form von Daten zu einer zentralen neuen Aufgabe von Institutionen wie dem Museum für Naturkunde Berlin. Diese Aufgabe erfordert beträchtliche Veränderung und Erneuerung, sowohl in Bezug auf die Art und Weise wie wir Natur verstehen, aber auch – im weiteren Sinne – wie wir mit dem Planeten und seinen Lebensformen umgehen. Digitalisierung und die Bewahrung der materiellen Kultur verändern die Infrastruktur und die politische Ökonomie der Wissenschaft, indem sie die Interaktionen zwischen Gesellschaft und Natur neu gestalten und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenbringen – dank der kontinuierlichen und engagierten Arbeit von Wissenschaftler:innen und vieler anderer.
Das Video folgt der mikropaläontologischen Forschungsgruppe am Museum für Naturkunde Berlin beim Auspacken der Lamont-Doherty-Sammlung. Ihre fragilen Objektträger aus Glas enthalten Millionen einzelner Mikrofossilien aus den Tiefen des Meeresbodens, darunter Kieselalgen, Radiolarien und Foraminiferen. Diese mikroskopischen Relikte liefern den Wissenschaftler:innen wichtige Daten zur Geschichte und Dynamik planetarischer Entwicklungsprozesse. Diese Sammlung ist eine der sehr bedeutenden, wenn auch weniger bekannten Sammlungen am Museum. (Video: Filippo Bertoni/MfN. Alle Rechte vorbehalten.)
- Das Lamont Doherty Observatory ist nach zwei wohlhabenden New Yorker Familien benannt, deren Spenden zur Gründung und zum Aufbau dieser Forschungseinrichtung beigetragen haben. Siehe “History of Lamont”. Columbia Climate School, ohne Datum. https://www.ldeo.columbia.edu/about-ldeo/history-lamont (03.01.2022).↩
- Siehe “History of the Core Repository”. Columbia Climate School, ohne Datum. https://www.ldeo.columbia.edu/core-repository/about-us/core-repository-history (03.01.2022).↩
- Für eine ausführlichere Erläuterung der Auswirkungen dieser Veränderungen in der globalen politischen Ökologie, siehe Paul Edwards. A Vast Machine: Computer Models, Climate Data, and the Politics of Global Warming. Cambridge: MIT Press, 2010.↩