Radiolarien

Material Mikroskopisch kleine einzellige Organismen in den Ozeanen

Alte Buchseite mit 14 kleinen kegelförmigen Formen, die verschiedene geometrisch und unregelmäßig gemusterte Oberflächen haben. Text unten: 1-10 Eucecryphalus, 11-14 Cecryphalium.

Radiolarien auf Tafel 59 in Ernst Haeckels Bericht über die H.M.S. Challenger Expedition, 1887.

Radiolarien sind einzellige Mikroorganismen, die aus einem weichen, amöbenähnlichen Körper mit einem oft aufwendigen, schalenartigen, ‘kieseligen’ Skelett bestehen, das als Test bezeichnet wird. Als Heterotrophe ernähren sie sich in erster Linie von anderen mikroskopischen Organismen, die um sie herum treiben; die meisten Radiolarien haben jedoch photosynthetische Endosymbionten – mikroskopische Organismen, die in den Radiolarien-Organismus eingebettet sind und Licht in Energie umwandeln, die das Radiolarium dann nutzen kann. Sobald die Zelle abstirbt, sinken ihre harten kieselhaltigen Tests nach unten und bedecken den Meeresboden mit einem kieseligen Schlamm, oder Radiolarienschlamm. Dank ihrer Struktur und ihrer Zusammensetzung bleiben diese Überreste erhalten und versteinern, wenn sie von Sedimenten und geologischen Schichten eingeschlossen werden. Folglich können die Mikrofossilien von Radiolarienskeletten in den verschiedensten geologischen Formationen gefunden und als aussagekräftige und oft gut zugängliche Fossilberichte genutzt werden. Tatsächlich konzentriert sich bis heute ein Großteil der Radiolarienforschung auf die mikropaläontologischen Formationen dieser Organismen – auch weil sich Radiolarien als ozeanische Lebensformen, die symbiotische Beziehungen eingehen und komplexe Fortpflanzungsstadien durchlaufen, nur schwer im Labor kultivieren lassen.

Darüber hinaus haben sie mit ihren Tests – ihren komplexen, filigranen, geometrischen und transparenten Skelettstrukturen – nicht nur das Interesse von Wissenschaftler:innen geweckt, sondern auch die Fantasie von Künstler:innen, Architekt:innen und Mathematiker:innen angeregt. Radiolarien waren die erste mikrobielle Gruppe, die der deutsche Naturforscher Erst Haeckel systematisierte, indem er ihre sich verändernden geometrischen Formen im Fossilbericht zurückverfolgte, um evolutionäre Veränderungen zu rekonstruieren.

Aufgrund ihrer geringen Größe, ihrer Widerstandsfähigkeit, Häufigkeit und Vielfalt wurden Radiolarien vor allem ab den 1950er Jahren häufig für geologische und ozeanografische Untersuchungen genutzt: Ihr beeindruckender Fossilbericht (der bis ins Kambrium, vor 500 Millionen Jahren, zurückreicht) macht sie zu wichtigen diagnostischen Fossilien oder Indikatoren. Als solche werden sie in der Biostratigrafie für die chronologische Bestimmung geologischer Schichten verwendet. Spezielle Arten können wichtige Umweltdaten liefern und werden in den Planetenwissenschaften als Proxy-Indikatoren und Marker für vergangene klimatologische Bedingungen verwendet, wie im Fall von Cycladophora davisiana. Außerdem können sie dank ihrer geringen Größe leicht aus dem schmalen Schnitt eines geologischen Bohrers entnommen und analysiert werden, was ihre Nutzung einfach, billig und effizient macht. Aus diesen Gründen sind Radiolarien nicht nur in der Paläoklimatologie und der Paläozeanografie von zentraler Bedeutung, sondern auch in der angewandten Geologie. Sie werden beispielsweise im großen Stil für die Prospektion fossiler Brennstoffe und in der Rohstoffindustrie allgemein genutzt.

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