Fossile Brennstoffe

Material Alte Energie für neue Gesellschaften?

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Videostill aus “Petroleum – Modern history of oil on a Map” (Quelle: Geo History/YouTube)

Fossilien finden sich nicht nur in den Ausstellungsräumen von Museen oder bei paläontologischen Grabungen. Fossilien sind überall um uns herum und meist viel präsenter als wir denken. Tatsächlich benutzen Sie selbst gerade Fossilien, indem Sie auf einem Endgerät diesen Text lesen. Die meisten Kunststoffe werden aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Die langen Kohlenwasserstoffketten, aus denen Erdöl, raffiniertes Öl und deren Derivate bestehen, waren einst lebende Organismen. Unter enormem geologischen Druck und durch physikalisch-chemische Umwandlungsprozesse über Jahrtausende hinweg wurden die Überreste dieser meist mikroskopisch kleinen Organismen zu Bestandteilen der am meisten verbreiteten, geschätzten und ausgebeuteten Fossilien der Welt: der fossilen Brennstoffe.1 Auch wenn die heutige Form und Verwendung dieser Fossilien kaum mehr Spuren der einstigen Lebensformen aufweisen, sind die Erschließung und Förderung von Erdöl gleichwohl schon immer eng an die geologischen und paläontologischen Wissenschaftszweige gekoppelt – was uns einmal mehr eine zugrunde liegende Struktur bzw. eine Tiefenzeit vor Augen führt, die unseren Alltag bestimmt, unsere Städte und Verkehrsmittel antreibt und Konflikte und Volkswirtschaften auf der ganzen Welt befeuert.2

Petroleum (wörtlich aus dem Lateinischen: Steinöl) war bereits in der Antike eine vielseitig genutze Ressource und wurde als Brennstoff, als Teer für Boote und Bauwerke sowie zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet. Im Laufe des 19. Jahrhunderts nahm der Verbrauch schließlich exponentiell zu, was eine rasche Expansion der Erdölgewinnung nach sich zog. Diese Erfolgsgeschichte fossiler Brennstoffe, die das Ende des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts prägte, ging mit dem (ebenfalls exponentiell beschleunigten) Übergang von der Dampfkraft zu Verbrennungsmotoren einher, die verschiedene Erdölderivate als Brennstoff verwendeten. Es war eine Phase der weltweiten Intensivierung der Rohstoffgewinnung, vorangetrieben und begünstigt durch die Kolonialherrschaft und die gewaltsame Expansion der europäischen Imperien, die dabei wachsende globale Märkte mit dem entsprechenden Hunger nach Erdöl schufen. Neue wissenschaftlich-technische Erkenntnisse über das Erdinnere ermöglichten neuartige Methoden der Rohsstoffgewinnung und heizten den Boom der Erdölindustrie weiter an. Spätestens ab den 1920er Jahren, nachdem die technischen Entwicklungen während des Ersten Weltkriegs die massive Nutzung von Öl zementiert hatten, wurde die Erdölförderung immer wichtiger, was unweigerlich dazu führte, dass die leichter zugänglichen Ölfelder rasch erschöpft waren. Als die technologischen Errungenschaften der Kriegszeit in der Folge auch zur intensivierten Erforschung des Planeten, seiner Geschichte und seiner Ozeane führten, entpuppte sich das Studium von Fossilien zu einem für die expandierende Ölindustrie unverzichtbaren Fachgebiet, insbesondere dank des Erfolgs der Biostratigrafie.

Zwar befassten sich die meisten wissenschaftlichen Arbeiten in diesem Bereich mit Makrofossilien, viel wichtiger für die Rohstoffindustrie sollten jedoch die unsichtbaren mikrobieller Welten werden. Esther Applin, Alva Ellisor und Hedwig Kniker, Wissenschaftlerinnen, die für US-Ölgesellschaften tätig waren, erkannten als erste den Nutzen von Mikrofossilien, insbesondere von Foraminiferen. Ihre Forschung legte den Grundstein für den Erfolg der industriellen Mikropaläontolgie, die bis heute zentral für die Prospektion, Exploration und Gewinnung von Erdöl und seiner Derivate ist. Paradoxerweise trugen die Methoden der Mikropaläontologie im Laufe des 20. Jahrhunderts ebenfalls ganz entscheidend dazu bei, die negativen Auswirkungen des übermäßigen Verbrauchs von Erdöl (und der daraus gewonnenen Kunststoffe) aufzuzeigen. Mit ihrer Hilfe ließ sich belegen, welche Auswirkungen der Erdölverbrauch auf die dynamischen Systeme des Planeten hat und auf welch verheerende Weise er zum Klimawandel beiträgt. Die Abenteuer der marinen Mikropaläontologie nach dem Zweiten Weltkrieg veranschaulichten schließlich die Wechselbeziehungen von Mikroben und Planeten. Sie gaben Aufschluss über die komplexe und lebenswichtige Rolle von Mikroorganismen und verdeutlichten die Folgen der Freisetzung des unter der Erde lagernden Kohlenstoffs in die atmosphärischen Kreisläufe unseres Planeten. Somit hatten sie auch Anteil an der Entwicklung gesellschaftspolitischer Regulierungswerke, durch die der Klimawandel eingedämmt und ein anderer Umgang mit fossilen Brennstoffen erreicht werden soll, sodass die Vision einer nachhaltigeren Zukunft Realität werden kann.3

Petroleum: Modern History of Oil on a Map, eine animierte Karte zur Geschichte von Petroleum. (Quelle: Geo History/YouTube)


  1. Zur komplexen Geschichte und Verwendung fossiler Brennstoffe: “Oil Beauty and Horror in the Petrol Age”. Kunstmuseum Wolfsburg, 2021. https://www.kunstmuseum.de/en/exhibition/oil-beauty-and-horror-in-the-petrol-age/ (28.08.2021).
  2. Die politischen Ökonomien und Ökologien fossiler Brennstoffe bilden den Schwerpunkt vieler faszinierender Bücher. Siehe insbesondere: Timothy Mitchell. Carbon Democracy: Political Power in the Age of Oil. London: Verso, 2011; and Andreas Malm. Fossil Capital: The Rise of Steam Power and the Roots of Global Warming. London: Verso, 2016.
  3. Für eine informative Schilderung der Geschichte der Energie in Deutschland, siehe: “The History of Energy in Germany”. Planète Énergies, 29.04.2015. https://www.planete-energies.com/en/medias/saga-energies/history-energy-germany (28.08.2021).
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