Vom Verschwinden und Wiederfinden

Material Tücken der Sammlungsarbeit

Foto eines Warans mit Etikett in Alkohol eingelegt

Ein Waran in Alkohol in der Herpetologischen Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin. (Foto: Frank Tillack/MfN. Alle Rechte vorbehalten.)

ZMB 24220. Dieses Exemplar eines Warans aus Neuguinea, das sich im Museum für Naturkunde Berlin befindet, wurde am 7. März 1914 in den Inventarkatalog der Herpetologischen Sammlung aufgenommen und dort als Varanus indicus, als Pazifikwaran inventarisiert.1 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Nasspräparat mit einem Verlustvermerk versehen: “Durch Kriegseinwirkung vernichtet, 1.12.1950”. Erstaunlicherweise taucht das Objekt im Katalog jedoch ein Jahrzehnt später wieder auf: 1961 hält jemand im Katalog fest, dass das Objekt für fast sechs Jahre an Dr. Robert Mertens, Kurator am Senckenberg-Museum in Frankfurt am Main verliehen wurde.2 Es war folglich zwischenzeitlich wiedergefunden worden. Danach war es erneut jahrzehntelang nicht auffindbar, bevor es im März 1990 durch den Sammlungspfleger Immo Tetzlaff wiederentdeckt wurde. Im selben Monat wurde das Tier von einem Kurator des Bonner Naturkundemuseums bei einem Besuch der Sammlung als Varanus salvadorii nachbestimmt.3

Präparat eines Warans vor weißem Hintergrund; am Bein ist ein Etikett befestigt.

Das historische Präparat des Warans kam 1914 in das Museum. (Foto: Frank Tillack/MfN. Alle Rechte vorbehalten.)

Das Präparat bewegte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ständig zwischen An- und Abwesenheit – es war vermeintlich vernichtet, wurde wiedergefunden, verliehen, galt abermals verschollen, wurde mit dem Aufbau der neuen Nasssammlung im Ostflügel des Museums umgezogen und ist heute wieder verfügbar. Hier wird deutlich, inwiefern zum musealen Sammeln nicht nur das Aufbewahren der Objekte und die Speicherung von Informationen gehört.4 Zentraler Teil der täglichen Arbeit sind auch die Suche nach Objekten, die Erfassung und Dokumentation ihrer Abwesenheit und das beständige Abgleichen zwischen Sammlung und Leihunterlagen. Das liegt daran, dass Informationen im Katalog und in der Sammlung nicht notwendigerweise identisch sind – zumal wenn es sich um historische Objekte mit einer langen Sammlungsgeschichte handelt. Ein Katalogeintrag bedeutet nicht unbedingt, dass das Objekt tatsächlich in der Sammlung auffindbar ist. Umgekehrt kann es vorkommen, dass Objekte in der Sammlung sind, die verschollen waren, während wiederum nicht alle individuellen Exemplare in einer Sammlung (schon) verzeichnet sind. Das wirft Fragen auf: An welchem Ort muss ein Sammlungsobjekt anwesend sein, damit es zur Sammlung gezählt wird? Welchen Status haben verschollene Objekte? Die Geschichte des Warans macht deutlich, dass eine Sammlung niemals stillgestellt ist, ihr Ordnungssystem nicht blind funktioniert, sondern die Informationen zwischen Katalog und Sammlung immer wieder abgeglichen werden müssen. Bedingt durch die Umbestimmung eines Tieres erfolgt in manchen Fällen eine Neuverortung innerhalb des Sammlungssystems. Gleichzeitig werden auch Sammlungen selbst umstrukturiert, ziehen um oder Mitarbeiter:innen wechseln, was ebenfalls Auswirkungen auf die Bestände hat, etwa auf die Zugänglichkeit und Bearbeitung von Objekten. Die Objekte immer wieder zu untersuchen, kann also dazu führen, veraltete Festlegungen zu überdenken, neues Wissen zu generieren, das wiederum eine Neuordnung notwendig macht und Ontologien verändert.


  1. Der Eintrag im Katalog lautet: “Varanus indicus, [von] Mosak, N.[eu] Guinea, leg. [Max] Moszkowski [Stabsarzt]”. Ich danke dem Sammlungsmanager Frank Tillack vom Museum für Naturkunde Berlin für die Unterstützung und ausführlichen Hinweise.
  2. Als Verleihungszeitraum ist im Katalog angegeben 13.09.1961 bis 22.03.1967.
  3. Es handelt sich um das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK).
  4. Diese können etwa Informationen über die Provenienz wie Sammelort, Geber (Sammler, Schenker oder Verkäufer), die wissenschaftliche Beschreibung und deren Historie sowie Umbestimmungen und Leihverkehr umfassen.
Tiere als Objekte? Eine Webseite des Forschungsprojekts “Tiere als Objekte. Zoologische Gärten und Naturkundemuseum in Berlin, 1810 bis 2020”, herausgegeben von Ina Heumann und Tahani Nadim. Datenschutzerklärung | Impressum