Löwen oder Kühe?

Material Nutztiere im Zoo

Aktenblatt mit handgeschriebenem Titel: Acta betr. Anlegung eines landwirthschaftlichen Thierparks. Darunter ist die Zahl 246 durchgestrichen, und daneben in blau die Zahl 189 handschriftlich notiert.

Akte zur Anlegung eines landwirtschaftlichen Tierparks im Archiv des Zoologischen Gartens Berlin. (AZGB. Alle Rechte vorbehalten).

Im Jahr 1900, gut 50 Jahre nach Eröffnung des Zoologischen Gartens in Berlin, verhandelte Zoodirektor Ludwig Heck mit dem Königlichen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten über einen landwirtschaftlich und tierärztlich relevanten Arbeitsbereich des Zoos.1 Es ging um die Bewilligung eines Staatsbeitrages zu den Futterkosten für die Haltung und Anschaffung landwirtschaftlich wichtiger Nutztiere im Zoo zu Unterrichts- und Studienzwecken der Landwirtschaftlichen Hochschule und der Tierärztlichen Hochschule. Der Plan war “eine Collection moderner Hausthierrassen, speziell Rindvieh und Schafe sowie vereinzelte Schweine und Pferde und Geflügel”,2 die die beiden Hochschulen auswählen und im Zoo unterbringen sollten. Die Idee, Nutztiere im Zoo zu halten, zu züchten und auszustellen, war nicht neu. Sie geht vielmehr bis in die Anfangszeit des Berliner zoologischen Gartens zurück. Gründungsdirektor Martin Hinrich Lichtenstein verfasste 1840 eine Denkschrift, die den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. überzeugte, die Anlage eines Zoos bei Berlin anzuordnen. In dieser von Alexander von Humboldt dem König vorgelegten Schrift argumentierte Lichtenstein, dass der anzulegende Garten nicht nur der Belustigung und Bildung dienen sollte, sondern “die eigentliche Aufgabe solcher Anstalten […] die Vermehrung und Verbreitung schöner und nützlicher Tiere, die Veredlung unserer Haustiere” sein würde.3 Damit erhob er die Zucht von Nutztieren und die damit verbundene “Beförderung landwirtschaftlicher Betriebe” zu den Kernaufgaben des zu gründenden Zoos.4

Darum ging es auch im Jahr 1900. Hinzu kam nun eine direkte Zusammenarbeit mit den Hochschulen. Der sogenannte ‘landwirtschaftliche Tierpark’ im Zoo sollte den Hochschullehrer:innen und ihren Studierenden als Anschauungsmaterial des “zoologischen und tierzüchterischen Unterrichts” und als Material für Züchtungs-, Kreuzungs- und Fütterungsversuche dienen. Der Plan macht das Netzwerk von Institutionen deutlich, das damals in Berlin mit lebenden und toten Tieren und dem Wissen über sie befasst war. Die Königlich Landwirtschaftliche Hochschule Berlin bestand seit 1881 und war in einem Gebäudekomplex in der Invalidenstraße untergebracht, wo wenige Jahre später auch das Naturkundemuseum ein neues Gebäude bezog. Die Tierärztliche Hochschule wiederum, 1787 als Tierarzneischule gegründet, bestand seit 1889 mit Tieranatomischem Theater zu Zwecken der Schausektion vor Studierenden, Stallungen und später einer Pferdeklinik. Die Hochschule war unter anderem gegründet worden, weil die Rinderpest immer wieder die Viehbestände bedrohte, während zugleich der Aufbau der preußischen Kavallerie tiermedizinisches Wissen zur militärisch relevanten Ressource machte. Der Zoo spielte in der geplanten Kooperation als weiterer Ort der Tierhaltung in der Stadt eine Rolle.

Die Umsetzung des Landwirtschaftlichen Tierparks zog sich allerdings hin. Der Antrag, der Geld aus dem Staatshaushaltsetat beanspruchte, musste zunächst durch das Abgeordnetenhaus bewilligt und anschließend ein Vertrag ausgehandelt werden. Hinzu kamen zoo-interne Verzögerungen, da die eingeplanten Mittel zur Erweiterung der Rindersammlung doch nicht vorhanden waren.5 Als aber schließlich 1904 doch ein staatlicher Futterzuschuss von 6.000 Mark gewährt wurde,6 zogen 45 Rinder, 24 Pferde, 18 Schweine sowie 52 Hausziegen und -schafe in den Zoo ein. Diese Verbindung zur Landwirtschaft verschaffte dem Garten neue Tiere, die er zeigen konnte, ohne für ihre Verpflegung selbst aufkommen zu müssen. Gleichzeitig stärkte der Zoo dadurch die Verbindung zu universitären Institutionen und konnte sich selbst als wissenschaftliche Einrichtung profilieren. Der Garten wurde zum Teil jener Wissens- und Praxisfelder, die ‘nützliches Wissen’ erzeugten und damit mehr von staatlichen Zuschüssen profitierten, was wiederum auch dem Aktienverein des zoologischen Gartens Legitimation verschaffte. Umgesetzt wurden diese Vorstellungen im tatsächlichen Zoobetrieb allerdings höchstens temporär. Im Jahr 1908 fragte das Landwirtschaftsministerium mehrmals nach, wie es um “die Errichtung von Rasseviehstallungen sowie die Vermehrung der Rassetiere” stand.7 Ein Antwortschreiben von Seiten des Zoos ist nicht überliefert, ebenso wenig wie Hinweise darauf, weshalb die Umsetzung sich verzögerte und letztlich scheiterte. Die letzte Information der Akte ist die Mitteilung des Ministeriums, dass 1912 der Zuschuss eingestellt werde.8


  1. Vorbilder gab es schon früher. Die 1793 gegründete Menagerie des Pariser Jardin des Plantes war der älteste wissenschaftlich geleitete Zoo überhaupt, der zum Vorbild für Zoos weltweit wurde. Neben sogenannten exotischen Tieren sollte die Menagerie auch als Zentrum der ‘Zootechnologie’ dienen, wofür Frédéric Cuvier Pläne zur Züchtung neuer Haustierrassen erarbeitete.
  2. Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten an die Direktion des Zoologischen Gartens, 15.07.1901, AZGB O 0/1/94.
  3. Martin Lichtenstein. Gedanken über die Errichtung zoologischer Gärten bei Berlin, 1849, zit. nach Heinz-Georg Klös. Von der Menagerie zum Tierparadies: 125 Jahre Zoo Berlin. Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, 1969: 28.
  4. Vossische Zeitung 8 (1844), zit. nach Annelore Rieke-Müller und Lothar Dittrich. Der Löwe brüllt nebenan: Die Gründung Zoologischer Gärten im deutschsprachigen Raum 1833-1869. Köln: Böhlau, 1998: 60.
  5. Der Bau einer Ausstellungshalle und der ganze damit zusammenhängende Finanzplan wurde durch den erfolgreichen Widerspruch eines Aktionärs verhindert. Direktion des Zoologischen Gartens an das Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, 29.07.1903, AZGB O 0/1/94.
  6. Der Zoo verpflichtete sich im Gegenzug, den Lehrenden und Studierenden beider Hochschulen freien Eintritt zu gewähren. Vgl. Actien-Verein des Zoologischen Gartens Berlin. Geschäftsbericht über das Jahr 1904. Berlin: 1905; ders. Geschäftsbericht über das Jahr 1912. Berlin: 1913.
  7. Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten an den Vorstand des Aktienvereins des zoologischen Gartens, 19.12.1908, AZGB O 0/1/94.
  8. Vgl. Actien-Verein des Zoologischen Gartens Berlin. Geschäftsbericht über das Jahr 1908. Berlin: 1909; ders. Geschäftsbericht über das Jahr 1912. Berlin: 1913.
Tiere als Objekte? Eine Webseite des Forschungsprojekts “Tiere als Objekte. Zoologische Gärten und Naturkundemuseum in Berlin, 1810 bis 2020”, herausgegeben von Ina Heumann und Tahani Nadim. Datenschutzerklärung | Impressum